In liebevolle Hände abzugeben...

Langsam aber sicher muss ich Vorsorge treffen.

Es könnte doch sein, dass das „frozen“ in meiner „shoulder“ schneller als mir lieb ist mein Herz erreicht und ich nicht mehr miterleben kann, dass mein zweitgeborener Sohn (kindliche 26 Jahre alt) ein Handtuch selbstständig und ohne ausdrückliche Aufforderung in den Wäschekorb wirft. Oder aber,  dass er hoffentlich ein vorzugsweise weibliches Wesen findet, das diese höchst anspruchsvolle Tätigkeit mit einem warmen Lächeln auf den Lippen für ihn erledigt.

 

Es müsste also eine Frau zu finden sein, die einerseits robust genug ist, um in einem Zimmer zu leben, wo sich auf dem Teppich schon Champignonzuchten gebildet haben und andererseits weich genug,  ihn auch dann noch zu lieben, wenn sie ihn erst stundenlang unter seinen über Monate treu gehorteten,  leeren Pizzakartons suchen muss, um ihn zu küssen.

 

Ehrlich, er ist ein lieber Junge. Warmherzig, kinderlieb, hilfsbereit. Er tut alles, was man ihm sagt. Das Problem ist nur, man muss ihn jeden Tag aufs Neue programmieren.

Ich schwanke zwischen mütterlicher Fürsorge und Solidarität zu meinen 30 Jahre jüngeren Geschlechtsgenossinnen hin und her.

 

Nicht, dass es ihm an Verantwortung mangelte. Nein. Er finanziert sich sein Studium, indem er im Altenheim in der Pflege arbeitet. Seine Kollegen schätzen ihn, weil er die Arbeit sieht, BEVOR er darüber stolpert.

Auf dem Weg vom Altenheim nach Hause müssen dann allerdings seltsame Dinge mit ihm geschehen.

Er ist noch nicht ganz durch die Haustür in den mütterlichen Dunstkreis getreten, da vergisst er alles, was er draußen jemals gelernt hat.

Plötzlich weiß er nicht mehr, wie man das Licht im Treppenhaus ausknipst. Mir scheint, er kann sich nicht mal mehr dran erinnern, wozu das überhaupt gut sein könnte.

 

Mein Sohn ist ein außergewöhnlich witziges Kerlchen. Wirklich. In seinem Abiturheft stand zu lesen: "Als der liebe Gott F. C. erschuf, muss er besonders gut drauf gewesen sein."

Es macht mich stolz, dass er in der Lage ist, mit seinem Witz und seinem Charme mittelgroße Kneipen zu unterhalten.

Ich frage mich allerdings, wieso sein reichhaltiger Wortschatz zu Hause nur für sieben mal pro  Woche „Mutter, wann gibt’s Essen?“ reicht.

 

Mit schlafwandlerischer Sicherheit und ohne Navigationssystem fährt er an jeden Ort der Welt, selbst wenn der auf keiner Landkarte verzeichnet ist.

Aber den Weg zur Spülmaschine in Mutters Küche würde er nicht finden, wenn der mit tausend 100-Watt-Birnen beleuchtet und roten Pfeilen auf dem Boden beschriftet wäre.

 

Trotzdem, er ist ein lieber Junge.

 

Ich gebe ihn äußerst ungern ab. Es bricht mir das Herz, wenn ich mir vorstelle, er könnte an eine Frau geraten, die kein Verständnis dafür hat, dass er vierzehneinhalb Stunden Schlaf pro Nacht braucht.

Ich kann doch nicht ruhigen Gewissens mein etwaiges Ableben in Erwägung ziehen, ohne sicher zu sein, dass seine jeweilige Lebenabschnittsgefährtin mit unendlicher Geduld und noch mehr Liebe jeden Morgen den Kessel, den er zum Eier kochen benutzt hat, wieder in den Schrank stellt.

Er ist dann halt mit seinen Gedanken schon viel weiter.

Vielleicht beim nächsten Auftritt mit seiner Band.

Oder auf der Piste.

Mein Herzensjunge fährt Snowboard wie ein junger Gott.

Unermüdlich kann er stundenlang die Pisten runterjagen und sich wieder hinauf hangeln. Keine Ahnung, warum ihm in seinem Zimmer die zwei Meter vom Sofa zum Papierkorb zu weit sind.

 

Liebe potenzielle Schwiegertöchter, bitte seid nett zu ihm, wenn seine Geschenke für euch nicht ganz den gängigen Vorstellungen entsprechen.

Mir hat er mal zu Weihnachten in einer Tankstelle sechzehn Arztromane gekauft.

Und einmal kam mein Geburtstag so überraschend plötzlich für ihn, dass er die einzige auffindbare Karte, ausgerechnet eine Beileidskarte, mit ein paar Buntstiften umfunktioniert hat zum Geschenkgutschein für ein Essen.

Er ist nicht gedankenlos  in seiner Geschenkeauswahl, ganz bestimmt nicht. Mit wohlwollendem Entgegenkommen könnte man ihn sogar als ausgesprochen kreativ bezeichnen.

 

Und überhaupt ist er ein lieber Junge.

 

Einerseits nervt das Gefühl, man könne ihm während des Laufens und ohne dass er es merkt die Schuhe neu besohlen, andererseits hat seine grenzenlose Ruhe und Gelassenheit durchaus Vorteile. Den Zickenalarm und die für ihn ach so wichtigen Geschichten seiner kleinen Schwester erträgt er mit dem Gleichmut einer drei Wochen alten Leiche.

Außenstehende könnten den Eindruck haben, er wäre bequem oder gar faul. Das ist er nicht. Ganz bestimmt nicht. Er ist nicht wirklich langsam. Die Welt dreht sich nur zu schnell für ihn.

 

Wenn man ihm ab und zu etwas zu essen hinstellt, ihn nicht mit  Fragen bedrängt, schon gar nicht mit einigermaßen ernst gemeinten Antworten zu seiner beruflichen Zukunft rechnet, dann hat man es mit einem sehr pflegeleichten Zeitgenossen zu tun.

 

Erwähnte ich schon, dass er ein lieber Junge ist?

Ich wünsche mir, dass die Hände, in die ich ihn unter Umständen abgäbe, ihn SEHR, SEHR liebevoll pflegen werden.

 

Sollte ich die geringsten Zweifel daran haben, Mädels, dann behalte ich ihn selber.

 

Er ist nämlich ein besonders lieber Junge.