Das Schweigen, das Bände spricht....

 

 

Sie hätte wenigstens vorher anrufen können!
Das macht sie mit voller und bösartiger Absicht, am Freitagmorgen hier aufzutauchen, um zu kontrollieren, ob ich wie alle Hausfrauen diesseits und jenseits des Äquators am Freitagmorgen den Putzlappen schwinge...
Sie selbst ist natürlich die Hausfrau in Vollendung. Kein Staubkörnchen hat jemals ihre Wohnung betreten, ohne sie vorher höflichst und untertänigst um Erlaubnis zu bitten.
Vor zwei Minuten war meine unordentliche Welt noch in Ordnung.
Ich lag mit meiner kleinen Tochter im Bett, als es an der Haustür klingelte.
Und nun steht sie vor mir.
Meine Schwiegermutter!
Aufgedonnert wie Queen Mum zum Krönungsjubiläum ihrer Tochter lächelt sie mich huldvoll an. Geheuchelte Liebenswürdigkeit trieft aus ihren entgleisten Gesichtszügen.
„Geht es dir nicht gut, mein Kind?“
Bis gerade konnte ich nicht besser klagen.
„Doch, mir geht es gut, wieso sollte es mir nicht gut gehen?“, frage ich leicht aggressiv.
„Du siehst so, wie soll ich sagen, du siehst so blass aus.“
Kein Wunder. Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren.
„Komm doch rein, möchtest du einen Kaffee trinken?“
„Ja, gerne.“, flüstert sie damenhaft - zurückhaltend und steht schon mitten in meiner unaufgeräumten Küche.
Majestätisch lässt sie ihren Blick schweifen und tut so, als würde sie das Chaos nicht bemerken.
Endlich lässt sie sich dazu herab, unsere ungebügelte kleine Tochter zu begrüßen.
„Hallo, Lara, wie geht es Dir?“
Mit Grabesstimme antwortet mein zweifellos fernsehgeschädigtes Kind:
„Mein Leben ist die Hölle.“
Ach, du meine Güte, ab sofort wird „Bernd, das Brot“ auch gestrichen.
Meine Schwiegermutter schaut mich konsterniert an und sagt wie immer... nichts.
Das beherrscht sie mit bewundernswerter Perfektion. Ich glaube, wenn sie wollte, könnte sie allein mit Blicken ihren ganzen Lebenslauf zum Besten geben.
Lara kommt mit einer Video- Kassette aus dem Zimmer ihres 23-jährigen Bruders und sagt: „Guck mal, Oma, das hab ich bei Chrissi gefunden.“
Scheiße, auch das noch! Eine Pornokassette mit dem Titel „Heißkalte Leidenschaft.“
Mir läuft es heißkalt den Rücken runter.
Ich erhebe die Stimme, soweit mir das noch möglich ist, und schimpfe: Lara, du bringst das sofort zurück. Das gehört dir nicht.“
„Darf ich so was auch mal haben?“
Und Schwiegermutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum.
Aus Verlegenheit, und weil ich ihr nicht in die Augen blicken will, fange ich an zu kochen.
Innerlich wie äußerlich.
Mein Zweitgeborener, ein selten witziges Kerlchen, kommt aus der Schule und frotzelt:
„Oh, Mutter, als ich vor der Haustür stand und Essensgeruch in mein empfindliches Näschen stieg, dachte ich zuerst, ich hätte mich verlaufen. Du hast ja tatsächlich mal gekocht.“
Wenn mir nicht nach Weinen wäre, würde ich lauthals lachen. Diese verdammten Bälger!
Schwiegermutter öffnet den Mund, rümpft die Nase und.... schweigt hoheitsvoll.
Es macht mich wahnsinnig, dass dieses edelmütige Biest nicht einfach sagen kann, dass ich eine Scheiß-Hausfrau bin.

Derweil betritt mein Großer die Küche und fragt unschuldig: „Mama, ich finde keine saubere Unterhose. Leihst Du mir deinen Spitzenbody?“
Ha, Ha, du Scherzkeks, wenn Oma weg ist, lach ich mal.
Madame von und zu „Wisch und Weg“ lässt sich zu einem alles verzeihenden Lächeln herab.
Zu allem Überfluss öffnet meine Kleine den Backofen und fragt: „Mami, warum sind da so Haare auf der Schüssel?“
So langsam, aber sicher, kriege ich Mordgelüste. Ich weiß nur noch nicht, wen ich zuerst ins Jenseits befördere. Diese stillschweigende Oma mit den drei goldenen Teufelshaaren oder meine missratenen Kinder.
Erstere scheint meine Gedanken lesen zu können.
Sie erhebt sich mit hochgezogenen Augenbrauen und –oh, welches Wunder, sie kann wieder sprechen- verabschiedet sich gnädig: „Mein Kind, ich geh dann mal, ich will weiß Gott nicht Schuld sein, wenn du deine Arbeit nicht getan kriegst.“