Der Lack ist ab!



Als ich heute Morgen unbekümmert, ungehemmt und unbekleidet aus dem Badezimmer trat, sprach meine Tochter völlig unbedarft:
„Mama, von hinten siehst du irgendwie scheiße aus.“
Nun ja, dass ich Model von meiner Berufswunschliste streichen kann, ist mir schon seit ein paar Tagen klar, aber zwischen schön und scheiße liegen doch Welten, dachte ich bis dato.
Ich schlich zurück ins Badezimmer, schloss zerknirscht die Türe und betrachtete mich mit dem größtmöglichen Wohlwollen im Spiegel. Von hinten.
Kind, du hast Recht, die Welt hat tatsächlich schon erotischeres gesehen.
Vor kurzem war mein Po doch noch klein, glatt und knackig wie ein frischer Apfel. Wieso sieht er plötzlich aus wie der verschrumpelte Deko-Kürbis vom letzten Jahr?
Jedenfalls scheint damit die Ära der Spitzenhöschen für mich beendet zu sein.
Macht nix, ich liebäugele eh schon länger mit diesen schafswollenen Liebestötern. Die wärmen wenigstens vernünftig.
Angesichts dieser Einsichtigkeit winken mir die Hautlappen an meinen Oberarmen aufmunternd und unheimlich freundlich zu, ohne dass ich mich bewege.
Mit dem schwungvollen Elan einer gerade mal Einundfünfzigjährigen drehe ich mich um und stelle fest:
Mama, du siehst auch von vorne irgendwie scheiße aus.
Mein ehemals graziler Hals erinnert an einen gerupften Truthahn und mein Busen hat den Kampf mit der Erdanziehungskraft aufgegeben.
Mit Beinchen so dünn wie das Kördelchen, das meine Strickliesel früher fabriziert hat, und mit der komischen Kugel in der Mitte meines Leibes sehe ich aus wie ein abgezogenes Kaninchen zwei Tage vor der Niederkunft.
Egal, schließlich sind es die inneren Werte, die wirklich zählen.
Bei mir haben sie sich vermutlich alle im Bauch versammelt. Zwischen Milz und Leber macht sich mein unerschütterlicher Optimismus breit. Und vor der Galle nimmt die Liebe zu meinen Kindern Auswüchse an, die jeder Beschreibung spotten.
Als mein Mann mich letztens mit Sonnencreme einrieb, fragte er grinsend: „Unter der Schürze auch?“
Ja, Herrgottnochmal, wenn ich schon keine gute Hausfrau bin, will ich wenigstens eine ordentliche Schürze haben.
Mit zunehmendem Alter ändern sich nicht nur die Prioritäten (das Blut, das ich früher für die Menstruation brauchte, benötige ich heute halt dringender für die Krampfadern), sondern auch die Vokabeln.
Aus Sommersprossen werden Altersflecken, aus Pfirsischhaut Orangenhaut.
Vor acht Jahren waren noch Wörter wie Schwangerschaft, High Heels, Lidstrich und Colgate Bestandteil meines Wortschatzes, heute sind es Wechseljahre, Hammerzehen, Schlupflider und Kukident.
Der Lack ist ab. Der körperliche Verfall nicht mehr aufzuhalten. Selbst die Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung sinken beträchtlich.
Hab ich bis vor kurzem noch zuversichtlich in den Spiegel geschaut, so tu ich es jetzt kurzsichtig und weitsichtig.
Vor allen Dingen aber nachsichtig.